Die heroische Weltanschauung

Foto: Vice/Richard Diesing

Ivana Hoffmann Superstar

Rojava – das Schlachthaus, das Ivana Hoffmanns ehemalige Genossen heute mehr denn je zum Revolutionskitsch verklären, kostete die Duisburgerin ihr Leben. Für die Kader der Politsekte Young Struggle aber läuft es seit ihrem Tod umso besser. Schon die Überführung der Leiche nach Deutschland wurde zu einem obszönen Spektakel hochgejazzt, und Ivanas hilflose Mutter für die Propaganda missbraucht. Die Beerdigung in Duisburg geriet zum absurd-perversen Spektakel. Seit dem brummt das zynische Geschäft mit der Märtyrerin: Ivana Hoffmann-Sommercamp, Ivana Hoffmann-Fussballturnier, Ivana-Fanartikel, Ivana-Hymnen. Am 27. September beginnt in Duisburg das dreitägige Ivana Hoffmann-Festival.

Ivanas Tod wäre vermeidbar gewesen – insbesondere von ihrem „Ivana Hoffmann Freundeskreis“, der jetzt das Festival veranstaltet. Statt jedoch positiv auf die Schülerin einzuwirken, oder eine Intervention westlicher Armeen zu fordern, versuchten die Duisburger Fans des romantisierten Guerillakrieges krampfhaft, die naiv-verklärte Illusion vom bewaffneten Volksaufstand gegen alles Böse aufrechtzuerhalten – dabei gingen sie über Leichen. So abstrus es klingen mag: Dem antiimperialistischen Weltbild ist der Tod einer Teenagerin offenbar genehmer als sich über die Grenzen des eigenen Tellerrandes hinweg mit militärischen Interventionen professioneller Soldaten anzufreunden. Dass einige kurdischen Widerstandsgruppen, die an vorderster Front gegen das Terror-Kalifat des IS kämpfen, genau jene Unterstützung des Westens explizit fordern, sorgt kaum für Irritation. Und so wird getreu dem Credo, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, die komplexe Situation in Rojava ins Korsett der eigenen Ideologie gezwängt. Die Begeisterung für den autonomen Volksaufstand bedingt, dass zugunsten der prätentiös zur Schau gestellten Revolutionsromantik ein Zustand verherrlicht wird, in dem von Bandenkadern eingepeitschte Jugendliche in Schützengräben massakriert werden. Jüngstes Opfer dieses Wahnsinns ist der 21jährige Kevin Jochim aus Karlsruhe, der Anfang Juli bei Gefechten mit dem IS in der Nähe der kurdischen Stadt Suluk tödlich verwundet wurde.

„Die heroische Weltanschauung“, bemerkte Max Horkheimer über diese Form des Märtyrertums einmal, „macht […] das eigene Leben, wenn auch als ein zu opferndes, zu ihrem wichtigsten Thema“. Dieser negativen Subjektzentriertheit, bei der der Einzelne sich opfert, um das Ganze zu retten, steht nicht das eigentliche Ziel, sondern die kompromisslose „Bereitschaft, es zu erreichen“ im Mittelpunkt. Zynischerweise wird Ivanas tragisches Schicksal ihrem vermeintlichen Freundeskreis zum morbiden Selbstzweck. Es geht nicht mehr um die Sache für die sie starb, sondern um die Tatsache, dass sie zum Sterben bereit war, und welche sie zur Märtyrerin qualifiziere. Denn die bis zur vollkommenen Selbstaufgabe treibende Bereitschaft, für die Sache alles zu geben, das vollständige Verschmelzen des Menschen mit seiner Aufgabe, letztendlich als Individuum Identität nur noch über die Identifikation mit einer zum Heiligtum beschworenen Mission erlangen zu können, gilt der antiimperialistischen Weltanschauung nicht als verdächtig und fragwürdig, sondern als eine erstrebenswerte Charaktereigenschaft. Gefragt sind weniger mündige und unabhängige Individuen, denn vielmehr Funktionalität und absoluter Kadavergehorsam. Dazu wieder Horkheimer: „Die Phantasie sieht davon ab, dass die Person des Phantasierenden selbst mit auf dem Spiel steht“.

Anstatt also prinzipiell den Umstand zu bedauern, dass junge Menschen ihr Leben im Kugelhagel der MGs apokalyptischer Terrorbanden lassen, weil sich ihnen sonst niemand in den Weg stellt, wird Ivana zu einem glorreichen Vorbild des Widerstandes stilisiert, dem es nachzueifern gälte. Die Initiatoren des Märtyrer-Kultes um Ivana glorifizieren weiterhin ihren Tod, um die Umstände ihres Ablebens propagandistisch für die eigenen Zwecke auszuschlachten. Und an dieser Stelle trifft sich kurioserweise der „Freundeskreis Ivana Hoffmann“ mit den ansonsten bis auf’s Blut verfeindeten Mujaheddin des IS. Denn auch sie scheinen getreu der islamistischen Maxime zu handeln: „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod“.