Wir schreiben den 8. Juli 2014. Die Volksseele feiert einen mindestens inneren Reichsparteitag, denn deutsche Fußballspieler, ausgestattet mit Disziplin und Willensstärke, machen die heißblütigen Brasilianer nieder, ja, demütigen sie gar, wie die Presse später lustvoll betonen wird. Aber als das Ereignis zur Halbzeitpause unterbrochen wird, erscheint Claus Kleber allerorten mit besorgter Miene auf dem Bildschirm. Deutschland ist im friedlichen Freudentaumel, doch Israel will Krieg. Da denkt es im Deutschen, dass die Juden wohl nichts aus der Geschichte gelernt haben.
Wer jegliche Empathie für die Situation der Israelis aufgegeben hat, dem bleibt nur noch das Bild des biblisch-rachsüchtigen Juden, der grundlos seine Nachbarn straft. Es stimmt, Israel schützt seine Bevölkerung auch an Tagen, an denen Deutschland sich zum Weltmeister aufschwingt. Ja, der deutsche Israelkritiker wird auch am kommenden 9. November wieder die toten Juden entschlossen betrauern – wie er es seit Jahrzehnten tut. Das ist deutsches Brauchtum. Deshalb schüttelt es ihn auch vor Schreck und Scham, wenn die Israelkritiker der neuen Generation – mehrheitlich muslimischen Milieus entstammend – allzu offenherzig die „Juden in’s Gas“ wünschen. Hier freilich müssen erfahrene Israelkritiker korrigierend eingreifen! Augstein und Diekmann sind zur Stelle und nehmen die schwarzen Schäfchen an die Hand: Du sollst nicht „Jude“ sagen – sage „Zionist“!
Der wohlintegrierte Chefmuslim Aiman Mazyek hat den Jargon der Israelkritik perfekt erlernt, wie sein Ordnungsruf auf der Titelseite der BILD eindrucksvoll belegt hat: „Friedlicher Protest, Kritik am militärischen Vorgehen Israels in Gaza ist legitim. Wer aber Antisemitismus verbreiten will, hat bei uns nichts verloren.“ Kein Oberstudienrat, kein Redakteur der Süddeutschen Zeitung hätte es schöner formulieren können. Auch der grüne MdB Özcan Mutlu, ganz pfiffig, kennt sich mit den go’s und no go’s für moderne Terrorliebhaber bestens aus: „Antisemitismus hat nichts mit Solidarität gegenüber Palästina zu tun und ist keine Israel-Kritik: Bei uns ist kein Platz für Antisemitismus!“ Ergo: Israelkritik ist nicht antisemitisch. Eine Lektion, die landauf, landab, rasch begriffen wurde. Fürderhin demonstriert man „gegen den Vorwurf des Antisemitismus und für Kritik an Israel“ – so geschehen am gestrigen Samstag in Kempten. Elite und Mob – in Deutschland: Eine Vater-Sohn-Beziehung. Die Väter werfen keine Brandsätze auf Synagogen, sie schreiben lieber Artikel. In denen ist immer Israel der Aggressor. „Israel bombardiert Hamas-Führer“ schreibt die TAZ, „Israel droht mit verstärkten Angriffen“ die Süddeutsche. Dass es Raketen auf Israels Zivilbevölkerung regnet, wird bestenfalls im Untertitel oder im letzten Absatz nachgereicht. Noch unverfrorener geht es bei Spiegel Online zu: „Israel erwidert trotz neuer Waffenruhe Beschuss aus Gaza“.
Israelkritik ist die neue Sprache der Vernichtung, welche verbal doch stets das Gleichgewicht halten will, um dem Standort Deutschland nicht zu schaden. Israelkritische Demagogen wie Jürgen Todenhöfer nehmen dem Judenstaat vermeintliche Greueltaten übel, die sie anderen unbemängelt durchgehen lassen. Je unhaltbarer, empathieloser und ressentimentgeladener das Gesagte ist, desto deutlicher die Beteuerung, dass das Existenzrecht Israels nicht diskutierbar sei. Und Bonuspunkte gibt es für Klezmeralben im Wohnzimmerregal.
Nein, es gibt keine Antisemiten mehr. Dieses vielzitierte Diktum lässt sich in den heutigen Tagen um den Zusatz: „Es gibt nur noch Israelkritiker“ erweitern. Doch die Israelkritik ist nicht mehr als das durch die post-nazististische Revision des geläuterten Deutschlands modernisierte Produkt des völkischen Antisemitismus. Sie richtet sich, nachdem es glücklicherweise 1948 gelungen ist einen bewaffneten, jüdischen Staat zu errichten, verbal nicht nicht mehr gegen „die Juden“ sondern gegen den Juden unter den Staaten: Israel.
Um es mit dem Dichter und Kabarettisten Horst Tomayer zu sagen: “Wenn Dir die deutsche Gemütssau begegnet, dann hau’ ihr kräftig in die Fresse!”